| Erinnerungskultur & Geschichtspolitik [Teilprojekt D7 des SFB 434 an der JLU Gießen] |
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| FastForward: Vergangenheitsbewältigung Geschichtspolitik Erinnerungskultur |
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| Diskussionspapier von Erik Meyer Die folgende Darstellung systematischer Zugänge zum Zusammenhang von Erinnerungskultur und Politik bezieht sich ausschließlich auf moderne sowie säkulare, institutionalisierte und öffentliche Formen von Erinnerung in Gesellschaften westlicher Prägung. Aus dieser Perspektive stellen die Überlegungen von Koselleck zur Funktion von historischen Denkmalen (Koselleck 1979) einen geeigneten Bezugspunkt für eine Bestandsaufnahme entsprechender politik- und sozialwissenschaftlicher Konzeptualisierungsversuche dar. Am Beispiel von Kriegerdenkmalen gelingt es Koselleck, eine wesentliche Eigenschaft öffentlichen Gedenkens zu bestimmen, die als Grundannahme für folgende Forschungen gelten kann: In der Neuzeit, so resümiert Koselleck, rückt das Gedächtnis an den Soldatentod in einen innerweltlichen Funktionszusammenhang, der nur noch auf die Zukunft der Überlebenden zielt. Der Schwund christlicher Todesdeutung schafft so einen Freiraum für rein politische und soziale Sinnstiftungen. (Koselleck 1979, 259) Die daraus resultierende Politisierung der öffentlichen Geschichtserinnerung zielt auf den Zusammenhang von Vergangenheitsdeutung, Gegenwartsverständnis und Zukunftsperspektive, wie insbesondere Studien zum Geschichtsbewußtsein zeigen. Vor diesem Hintergrund lassen sich verschiedene Vorschläge zur begrifflichen Bestimmung von politischen Phänomenen und Prozessen unterscheiden, die aus entsprechenden historischen Situationen resultieren. Eine sowohl in der akademischen als auch öffentlichen Diskussion gleichermaßen geläufige wie umstrittene Bezeichnung ist in der Bundesrepublik die der Vergangenheitsbewältigung. Der Begriff Vergangenheitsbewältigung hat sich in den letzten Jahren von dem historischen Kontext, auf den er ursprünglich gemünzt war, abgelöst. Aus dem Namen für einen ethisch-moralischen Umgang mit der Vergangenheit des Nationalsozialismus in Deutschland ist ein Gattungsbegriff geworden, der heute in politik- und sozialwissenschaftlichen Analysen der Ablösung von Diktaturen durch Demokratien einen festen Platz hat. (König/Kohlstruck/Wöll 1998, 7). An dieser Stelle kann nur darauf hingewiesen werden, daß die damit verbundene semantische Generalisierung bspw. im Hinblick auf den Umgang mit der DDR-Vergangenheit, aber auch darüber hinaus im internationalen Vergleich postdiktatorischer Staaten, umstritten ist. Unabhängig davon läßt sich jedoch feststellen, daß der Terminus Vergangenheitsbewältigung zu einer Sammelbezeichnung für jene Aktivitäten geworden ist, mit denen sich demokratische und auf die Menschenrechte verpflichtete politische Systeme und Gesellschaften mit ihren durch Diktatur und Verbrechen gekennzeichneten Vorgängersystemen auseinandersetzen (ebd.). Zur näheren Definition und damit zur Systematisierung des gemeinten Sachverhaltes in
Abgrenzung zur Verwendung als politischem Schlagwort lassen sich im Anschluß an Dudek
(1992) die folgenden vier Bereiche differenzieren, in denen die Auseinandersetzung mit dem
Nationalsozialismus und seinen Verbrechen in der Bundesrepublik im wesentlichen
stattgefunden hat: Ausgehend von dieser Forderung und nicht nur auf die Aufarbeitung eines konkreten historischen Falles bezogen, definiert Wolfrum Geschichtspolitik als Analysekategorie, die die Auseinandersetzungen um Geschichte als politisches Ereignis in Demokratien untersucht und das Erkenntnisinteresse vor allem auf die Motive der politischen Akteure richtet (Wolfrum 1998 b, 4) Somit wird in pluralistischen Gesellschaften (...) ständig Geschichtspolitik betrieben, denn politische Eliten - als gewichtiger Teil der Deutungseliten - gestalten und definieren das für einen politischen Verband konstitutive Ensemble von grundlegenden Vorstellungen, Normen, Werten und Symbolen (ebd., 5). Dadurch grenzt sich dieses Verständnis von Geschichtspolitik auch von einer Verwendung des Begriffes ab, die damit ausschließlich den politisch-instrumentellen Umgang mit Geschichte und Geschichtswissenschaft kritisch konnotiert. Aus dieser Perspektive sind bereits verschiedene empirische Phänomene zum Gegenstand geschichtspolitischer Forschungen in der Bundesrepublik geworden. Im Zentrum des Erkenntnisinteresses stehen vor allem Diskurse über Geschichtsbilder sowie symbolisches Handeln bspw. anläßlich von Gedenktagen (vgl. z.B. Schiller 1993, Wolfrum 1998 a). Ein weiteres Untersuchungsfeld der in diesem Zusammenhang relevanten Formen der Vergegenwärtigung von Vergangenheit ist deren Vergegenständlichung. So bestimmt Reichel (1995) in seiner Monographie zum Thema Politik mit der Erinnerung in Anlehnung an Nora Gedächtnisorte als ästhetisch-politisches Handlungsfeld einer auf das Gedenken an den Holocaust bezogenen bundesrepublikanischen Erinnerungskultur. Dabei unterscheidet er folgende Dimensionen: Eine sozialpsychologische, die nach der emotionalen und existentiellen Relevanz vermittelter historischer Ereignisse fragt. (...) Eine politisch-justitielle und politisch-kulturelle Dimension (...). Und nicht zuletzt jene (...), i.e.S. erinnerungskulturelle Dimension, in der die wissenschaftlich-dokumentarische, die ästhetisch-expressive und die feierlich rituelle Auseinandersetzung mit der Vergangenheit im Zentrum steht. (ebd., 26f) Das Thema dieses Buches liegt also im Schnittpunkt verschiedener Betrachtungsweisen - einer zeitgeschichtlich-politologischen, einer geschichtspolitischen und einer kunstgeschichtlichen. (ebd., 11) Dieser interdisziplinäre Ansatz trägt damit den Ergebnissen einer eher kulturwissenschaftlich orientierten Erforschung der verschiedenen Formen der Repräsentation von Vergangenheit Rechnung, wie sie in international vergleichender Perspektive und ebenfalls am Fallbeispiel von Holocaust-Denkmalen sowie -Gedenkstätten vor allem von Young (1997) formuliert werden. Diese Untersuchungen verweisen auch auf die Übertragbarkeit der am Beispiel der Bundesrepublik dargestellten Konzeptualisierungsvorschläge auf andere politische Kulturen sowie Systeme. Schließlich lassen sich einige Befunde entsprechender geschichtspolitischer Forschungen resümieren. Grundsätzlich lassen sich dabei sowohl verschiedene Phasen unterscheiden, in denen jeweils bestimmte Paradigmen der Deutung historischen Wissens dominieren (vgl. Wolfrum 1998), als auch längerfristige und zum Teil widerstreitende Tendenzen einer Politik des Gedenkens identifizieren. In diesem Zusammenhang sind zu nennen: Bürokratisierung und Kommerzialisierung - die Institutionalisierung von Geschichtspolitik wird sowohl durch die Integration in Bildungs-, Kultur und Staatspolitik vollzogen, als auch durch die Ausweitung der Angebote einer globalen Kulturindustrie. Damit verbunden ist des weiteren eine Veränderung der Erinnerungsmedien, die als Medialisierung und Visualisierung charakterisiert werden kann. Ein Beispiel für diese Entwicklung stellen die diversen Projekte von Steven Spielberg dar, die von dem Spielfilm Schindlers Liste bis zur Archivierung von Zeitzeugenaussagen auf Video reichen. Damit einher gehen Tendenzen der Entmaterialisierung und Materialisierung. Obgleich als historischer Basistrend eine Entmaterialisierung bspw. durch Verfall konstatiert werden kann, wird diese Entwicklung durch neue Formen der Vergegenständlichung wie zum Beispiel den Bau von Denkmalen oder die Rekonstruktion historischer Orte kompensiert. In diesem Zusammenhang verweist bspw. der Bau eines zentralen Holocaust-Mahnmales auch auf die Konfliktlinie zwischen Dezentralisierung und Zentralisierung Während es einerseits einen Trend zur lokalen Vergegenwärtigung der Vergangenheit gibt, besteht andererseits ein Bestreben, die Bedeutung von historischen Ereignissen zentral zu bestimmen. Dieses Entwicklung kann auch als Reaktion auf die Individualisierung und Pluralisierung der Akteure und ihres Gedenkens verstanden werden. Während diese Tendenz aus der Perspektive der Kritik einen Bedeutungsverlust des historischen Bewußtseins evoziert, kann die damit verbundene Differenzierung auch als Demokratisierung charakterisiert werden. Dieser Einschätzung widerspricht jedoch der Befund, daß aus diesen Entwicklungen oftmals eine Polarisierung der Akteure resultiert. Dies verweist schließlich darauf, daß auch die eingangs konstatierte und für die vorliegende Darstellung konstitutive Annahme der Ausdifferenzierung einer säkularen Sphäre des öffentlichen Gedenkens vor dem Hintergrund der Erinnerung an den Holocaust in Frage gestellt werden kann. Hier ist über die auch in anderen Fällen festzustellende Mythologisierung und Ritualisierung hinaus eine Sakralisierung zu thematisieren, die Reichel folgendermaßen resümiert: Im Angesicht von Auschwitz scheint die säkularisierte Erinnerungskultur zu einer ihrer kulturgeschichtlichen Voraussetzungen zurückzukehren und sich in eine Erinnerungsreligion zu verwandeln, in die religiös geprägte Erinnerung an ein mythisch gewordenes Martyrium. (Reichel 1995, 30) Somit läßt sich abschließend als ein weiteres wesentliches Ergebnis entsprechender Forschungen festhalten, dass die geschichtspolitischen Akteure und Strategien unterschiedlichen Geltungskriterien verpflichtet sind, die in vergleichender Perspektive analysiert werden können. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit diesem Sachverhalt stellt jedoch ein Desiderat der politik- und sozialwissenschaftlichen Forschung dar. |
literatur Dudek, Peter (1992): Vergangenheitsbewältigung. Zur Problematik eines umstrittenen Begriffs. In: APuZ, B1-2/92, S. 44-53. Frei, Norbert (1996): Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit. München. Koselleck, Reinhart (1979): Kriegerdenkmale als Identitätsstiftungen der Überlebenden. In: Marquard, Odo/Stierle, Karlheinz: Identität. München, S. 255-276. König, Helmut/Kohlstruck, Michael/Wöll, Andreas (1998): Einleitung. In: dies. (Hg.): Vergangenheitsbewältigung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Opladen, Sonderheft 18/1998 - Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft, S. 7-14. Reichel, Peter (1995): Schiller, Dietmar (1993): Wolfrum, Edgar (1998 a): Geschichtspolitik und deutsche Frage. Der 17. Juni im nationalen Gedächtnis der Bundesrepublik (1953-1989). In: Geschichte und Gesellschaft Nr. 24, S.382-411. Wolfrum, Edgar (1998 b): Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1989. Phasen und Kontroversen. In: APuZ, B45/98, S. 3-15. Wolfrum, Edgar (1999): Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948-1990. Darmstadt. Young, James E. (1997): |