| Erinnerungskultur & Geschichtspolitik [Teilprojekt E11 des SFB 434 an der JLU Gießen] |
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| On Tour Histotainment und Debatte |
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| von Claus Leggewie [Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 10. Februar 2001] Es soll häufiger geschehen, dass Geschichtswissenschaftler ein und dasselbe historische Phänomen voneinander abweichend, ja völlig konträr beurteilen. Zünftig werden solche Differenzen in Form wissenschaftlicher Rezensionen ausgetragen, wozu man sich der Konvention von These und Gegenthese bedienen kann. Die derzeit on tour befindlichen US-Autoren Norman Finkelstein und Peter Novick unterscheiden sich nicht so grundlegend, wie sie von einem auf Wirkung versessenen Konfrontainment, darunter ihren eigenen Verlagen, gegeneinander in Stellung gebracht worden sind. Der eine, Finkelstein, hat ein schlankes, von nicht verschwiegenen Abrechnungswünschen gekennzeichnetes Pamphlet vorgelegt, dessen Zielscheibe die Holocaust-Industrie trotz der rhetorischen Überzeichnung nicht a priori jeder Diskussion entzogen ist. Der andere, Novick, hat ein tiefer schürfendes, ohne mediale Inszenierung gewiß weniger beachtetes Werk über eine Tendenz vorgelegt, die man als Amerikanisierung des Holocaust bezeichnen kann. Auch die Verlagerung des Historiker-Interesses vom Ereignis des Holocaust auf seine reflexive Bearbeitung durch die Nachgeborenen der Opfer und Täter und ihre Aufnahme in außereuropäischen Gesellschaften ist einer gründlichen Analyse wert. Mit dem Aussterben der Zeitzeugen war es unvermeidlich, dass man jetzt von der (stets als mangelhaft empfundenen) Aufarbeitung der Vergangenheit zur Aufarbeitung der Aufarbeitung und damit zur Analyse von Geschichtspolitik übergeht. Dabei entwickelte sich unter dem Stichwort Holocaust ein transnationaler Bezugsrahmen, der in Deutschland ebenso angewendet wird wie in Israel und den USA. Problematisch ist allerdings, dass der Geschichtswissenschaft die Kriterien und Kategorien zur Analyse solcher Entwicklungen zu fehlen scheinen, und es beschädigt ihren guten Ruf, wie sie sich für ein Media-Event einspannen läßt, das weit über die vielleicht gebotene Popularisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse hinaus führt. Die einschlägige Meinungsindustrie hat offenbar nichts aus der fatalen Goldhagen-Debatte gelernt. Das zeigen die Lesereisen der beiden Autoren, die auf ein unverfrorenes Skandalinteresse spekulieren, und bald wird kein Verlag mehr ein saftig wirkendes Manuskript mangels Qualität ablehnen können und auf die Folgebände, die Debatte zum Buch, verzichten wollen. Historiker haben in den letzten Jahren allzuoft als Orientierung gebende Sinnstifter und Lehrmeister der Nation wirken wollten. Man erinnert sich an den Stellungskrieg des Historikerstreits in den achtziger Jahren, der nahtlos in die Stellungnahme zur deutschen Wiedervereinigung mündete; zu wirklich jedem mit der europäischen Gegenwart und Zukunft verbundenen Problem holte man vornehmlich Historiker als Experten aufs Podium und an die Mikrophone, wo sie zu Virtuosen der Identitätspolitik avancierten. Gerade westdeutsche Historiker, durch die Überlappung zweier deutscher Vergangenheiten beflügelt, errangen ein zeitdiagnostisches Deutungsmonopol, während vielleicht zuständigere Wissensdisziplinen wie Soziologie und Politikwissenschaft der ideologischen Verstrickung und mangelnden Prognosefähigkeit bezichtigt wurden. Befleckt wurde die historische Unschuld erst durch spät erörterte eigene Verstrickungen von Nachkriegshistorikern der Bundesrepublik in die NS-Diktatur. Auch diese war schon der Wechselwirkung von Skandalisierung und Banalisierung unterworfen, die bei der Scheindebatte um Finkelstein und Novick wieder zu erkennen ist. Vor allem TV-Debatten fordern serienweise steile Thesen und Übertreibungen, die dann sogleich den Reflex auslösen, jemand habe sich frevelhaft vergaloppiert und an diesen oder jenen Opfern vergangen. Das Fernsehen ebnet Differenzen ein und lauert auf Tabubrüche, über die es sich hernach moralisch zu empören. Professionelle Historiker sollten an solchem Histotainment keinen Gefallen finden. Was die beiden amerikanischen Autoren vortragen, ist einer seriösen Debatte wert. Der stets befürchtete Beifall von der falschen Seite sollte daran nicht hindern; er signalisiert nur den Mangel an Selbstbewußtsein, es jederzeit mit Antisemiten und Revisionisten aufnehmen zu können, die auf einen Tabubrecher wie Finkelstein wahrlich nicht gewartet haben. Holocaust-Industrie ist schon terminologisch ein Querschläger, aber dass es materielle Nutznießer und moralische Trittbrettfahrer gibt (und damit Korruption), lehrt der soziologisch informierte Blick auf alle großen Hilfs- und Vermittlungsorganisationen. Deren Wirken ist durch schonungslose Aufarbeitung gemachter Fehler und begangener Verfehlungen noch nie beschädigt worden, eher durch deren Tabuisierung.
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